Ich finde es mutig, dass ich mich auf gebrochene Schriften konzentriere, weil die prinzipiell ja kaum noch wer schreibt, und wenn, dann oft in fragwürdigen Situationen oder Umständen. Und dass ich mich ausschließlich mit diesem Thema beschäftige, und nicht irgendwelche Alternativen noch nebenher tue. Das könnte man mutig nennen. Vielleicht auch naiv. Aber das ist meine Leidenschaft, die nicht weg zu blenden ist.
Es gibt verschiedene Sprachen, wie zum Beispiel Hebräisch, Griechisch, oder asiatische Sprachen, die ich überhaupt nicht lesen, schreiben oder gestalten kann. Das ist für mich alles sehr weit entfernt. Ich konzentriere mich auf die lateinische Schrift. Jetzt habe ich mich sogar für einen Lateinkurs angemeldet und werde mein kleines Latinum machen, um die alten Manuskripte – also die, die ich nachschreibe – dass ich diese Texte auch verstehen kann. Das ist mein vierwöchiges Sommerprojekt für 2020.
Ein Trend in der Schriftindustrie geht im Moment zum Handgeschriebenen – zum Lettering. Ich würde mich davon abgrenzen, weil das, was ich mache, ist geschriebene Schrift und geht in eine forschende Richtung. Dass bedeutet, ich schreibe auch nicht so, dass das irgendwie wunderschön aussieht, oder dass man es sich dann an die Wand hängen könnte, sondern ich versuche durch mein Schreiben nachzuvollziehen, wie die Schrift sich entwickelt hat und wie die einzelnen Formen entstanden sind. Ich bin der Meinung dass, wenn man die Sachen nachschreibt, man auf neue Erkenntnisse kommen kann. Also nicht unbedingt neu im Sinne von ›neu neu‹, sondern neu für mich. Um zu verstehen, warum der Strich in diese Richtung geschrieben wird und was passiert, wenn ich ihn in diese Richtung schreibe und was, wenn ich ihn in eine andere Richtung schreibe. Man erkennt dann auch, wie sich die Tinte verteilt, oder der Einstrich oder Ausstrich anders ist.
Ich glaube dass die geschriebene Schrift sehr wohl eine Zukunft hat, auch die Handschrift. Natürlich wird es weniger, weil wir mehr mit dem Computer kommunizieren. Aber die Handschrift hat trotzdem eine große Wertigkeit. Ich finde sie sollte auch weiter in der Schule gelehrt werden, das wird ja zumindest im Moment in Frage gestellt. Durch die motorischen Fähigkeiten, die man dabei ausbildet, und den meditativen Bewegungsablauf verknüpfen sich sicherlich irgendwelche Synapsen, die auch für andere Tätigkeiten von Nutzen sein können.
Früher war es so, dass in verschiedenen Religionen andere Schriften verwendet wurden. Zum Beispiel hat Luther in Fraktur geschrieben, während die traditionelle Kirche die lateinische Schrift bevorzugte. Und so konnte man anhand der Schrift ungefähr zuordnen, welche Glaubensrichtung dort vertreten sein könnte. Das finde ich ziemlich spannend.
Ich bin nicht bei Social Media und habe weder einen Facebook-, noch einen Instagram-Account. Ich entziehe mich dem Ganzen, weil ich es für enorm zeitaufwändig halte und für mich persönlich nicht den Sinn darin sehe. Ich bin sicher, dass es für manche ganz gut ist und dass man es auch durchaus sinnvoll nutzen kann, aber ich habe das für mich noch nicht entdeckt.
Manche Leute kommen auf meine Webseite und sagen »Oh, sie haben dieses Gedicht geschrieben. Können sie das auch nochmal für mich schreiben? Genau so.« Dann muss ich antworten, »Nein, das geht nicht, es ist ja ein Unikat und dann muss es mindestens abgewandelt werden.« Solche Aufträge hatte ich schon öfter. Aber meine Leidenschaft, oder mein Forschungsgebiet ist es, mit richtigen Federn zu schreiben. Ich habe allerdings noch keinen Kundenauftrag damit geschrieben, es gab noch niemanden der sich explizit gewünscht hat »Bitte schreiben Sie das mit einer Gänsefeder«. Meistens ist es dann doch die Englische Schreibschrift mit Spitzfeder. Und dann sind die Sachen oft groß – mit einer Gänsefeder erreicht man ja nur eine limitierte Strichbreite, weil der Schaft einen relativ kleinen Durchmesser hat. Man kann das wohl ein bisschen beeinflussen, wenn man sie zum Beispiel einweicht, flachdrückt und aushärten lässt, aber das ist alles eine diffiziele Angelegenheit. Ich habe auch schon als Type-Designerin gearbeitet und Kundenaufträge mit digitaler Schrift gemacht, aber das war bisher nicht mein Fokus.
Dieses Thema berührt mich sehr. Ich finde, dass Frauen in der ganzen Industrie unterrepräsentiert sind. Auch in der Gesellschaft: Frauen sollten gleiche Chancen bekommen und natürlich auch gleiches Gehalt. Auch aus diesem Grund habe ich zum Beispiel den Vortrag in der Staatsbibliothek gehalten. Zuerst hatte ich bedenken, wenn ich dann da auf der Bühne stehe, aber ich wollte meinen Teil dazu beitragen und zeigen, dass Frauen das genauso gut können. Und es ist halt leider so, dass mehr Männer auf der Bühne sprechen und Vorträge halten als Frauen. Deswegen versuche ich mit gutem Vorbild voranzugehen – auch wenn ich mir das manchmal nicht wirklich zutraue, dann mache ich es trotzdem.
Werbung ist tatsächlich das, wo ich herkomme. Ich habe erst Grafik-Design studiert und dann in der klassischen Werbeindustrie gearbeitet – Print, Kampagnen, Anzeigen und so weiter. Das war mir aber irgendwann zu viel, weil die Belastung enorm ist und die Zeit, die man in die Arbeit steckt, in keinem Verhältnis zu dem steht, was man davon zurückbekommt. Dann bin ich in einen Verlag gewechselt, da waren die Arbeitszeiten schon angenehmer. Und durch die Tätigkeit im Verlag bin ich zur Schrift gekommen. Ich fand Typografie schon immer toll, bald war es in meinem Team so, dass ich immer die Ansprechpartnerin für alles mit Schrift war. Später habe ich meine Arbeitszeit reduziert und mich für ein weiteres Studium beworben.
In der Art wie ich arbeite ist mir Tradition sehr wichtig. In meiner Forschung versuche ich so vorzugehen, wie die Schreibmeister damals. Ich lese historische Bücher anstatt zeitgenössische Quellen zu konsultieren. Ich härte meine Federn in heißem Vogelsand. Ich schneide mit einem Federmesser, welches nach historischem Vorbild angefertigt wurde; es ist klein und super scharf, mit einer dünnen Klinge. Ich schreibe auf einer angewinkelten Tischplatte, benutze Nussbaumtinte. In diesem Themenbereich nehme ich die Tradition sehr ernst.
Wenn Leute meine Schriftstücke sehen, bezeichnen die das manchmal als Kunst. Ich würde es – wenn überhaupt – Kunsthandwerk nennen, mit der Betonung auf Handwerk, weil es meiner Meinung nach eine Fähigkeit ist, die man sich mit Geduld und Zeit aneigenen kann. Kunst ist für mich etwas, was aus dem Inneren kommt, abstrakter, es entsteht zum Beispiel eine Skulptur, oder ein Gemälde.
Das ist die letzte Frage die ich beantworte, weil es ein schöner Schluss ist: Schrift und Idee – damit verbinde ich Christian Gottlob Roßberg. Das ist ein Schreibmeister aus Dresden, den ich erforsche. Er hat im 18. Jahrhundert als Kalligraf gearbeitet und wollte die Schrift in mathematische Formeln packen, um nicht aus dem Bauch heraus Dinge zu beurteilen. »Ja, das ist schön und das ist nicht schön.« Und warum? Weil das nach diesen und jenen Regeln funktioniert. Roßberg hatte die Vision seine Schriftfamilie zu systematisieren, er hat daraufhin eine Schrift in verschiedenen Zuständen – er nennt das „Gattungen“ – konstruiert. Wenn man eine Feder in einem anderen Winkel zieht, dann werden die Striche jeweils dünner und dicker, das ist zum Beispiel ein Aspekt seiner Theorie. Die Idee, die er hatte, halte die für visionär. Heutzutage gibt es diese Technologie als Variable Font – das ist seit circa zwei Jahren etabliert. Es gab vorher schon ein Prinzip von Interpolation, als man mit Multiple Master gearbeitet hat, aber dass man es jetzt als Variable Font ausspielen kann, das ist natürlich ein glücklicher Zufall für mich. Ich nutze diese neuen Möglichkeiten und überführe seine Vorlagen in die digitale Welt. Roßbergs Idee ist es wert, aufgearbeitet zu werden und dessen habe ich mich angenommen.